Wo der letzte Zug abgefahren ist… Kreative Ideen an alten Gleisen in Brandenburg
Viele Bahnhöfe auf dem Land führen ein tristes Leben. Schon lange ist hier der letzte Zug abgefahren. So führen die einst prächtigen Gebäude ein trauriges Dasein, dem Verfall und Vergessen schutzlos ausgeliefert. Doch nicht so im östlichen Teil des Flämings in Brandenburg. Hier kann man im Bahnhof Klasdorf Tango tanzen, im Bahnhof Sperenberg das Bildhauern lernen, mit der Draisine durch die Natur fahren und im Bahnhof Rehagen köstliche französische Küche genießen und im Schlafwagenhotel übernachten.
Kaffee, Kuchen und Tango im alten Bahnhof Klasdorf
Den Duft von frisch gebackenem Kuchen und Kaffee in der Nase, stapfe ich verschlafen die knarrende Holztreppe des Bahnhofs Klasdorf hinunter, in dem ich die Nacht in einer der einfachen, aber gemütlichen Ferienwohnungen verbracht hatte. Katharina hat ihr Bahnhofscafé heute extra ein bisschen früher geöffnet. Dort wo sie sonst Ausflüglern und Entdeckern am Nachmittag selbstgebackene Tartes und Torten, sowie leckeres Eis serviert, darf ich heute mit ein paar anderen Bloggern, mit denen ich meine Heimat den Fläming erkunde, frühstücken. Gemeinsam sitzen wir im alten Güterschuppen. Die Sonne strahlt durch die drei großen, weit geöffneten Tore auf unsere Tische. Fast scheint es, als würden wir unter freiem Himmel sitzen.
Während ich mir mein zweites Stück Tarte schmecken lasse, erzählt Katharina, die eigentlich studierte Museumswissenschaftlerin ist, von ihrem 1907 erbauten Bahnhof. Der Bahnhof Klasdorf ist viel mehr als nur ein schönes Café: Er ist ein Ort zum Schlemmen, Musikhören und -machen, zum Tanzen und Träumen. Mitten auf dem Land werden hier Tangoworkshops und Konzertabende wie beispielsweise der Jazz Express veranstaltet. Auch im Winter gibt es immer wieder gemütliche “Offene Bühne Abende”. “Uns ist wichtig, die Menschen aus der Umgebung, egal welcher Nationalität und mit welchem Können, bei unseren Musikabenden zusammenzubringen”. Auf unser Drängen erzählt Katharina schließlich vom nahen Flüchtlingsheim im Wald. “Hier mitten im Nirgendwo ist Integration natürlich schwer. Es gibt ja kaum Angebote. Deshalb haben wir die Sache selbst in die Hand genommen. Wir waren überzeugt, das da ganz viele tolle Leute dabei sind. Mit von Google übersetzten Texten haben wir Flyer in verschiedenen Sprachen angefertigt und im Heim ausgehangen. Eines Abends stand dann eine große Gruppe im Bahnhof. Erwachsene, Kinder und Jugendliche sind gekommen und haben mit uns gesungen und getanzt- das war wunderbar!
Mit einem breiten Lächeln verabschieden wir uns von Katharina und fahren ins nur 20 km entfernte Sperenberg.
Holland in Brandenburg: Der Bildhauerbahnhof Sperenberg
Mit einem fröhlichem “Welcome hier!” begrüßen uns Ine und Wouter Spruit vor dem großen Bahnhofsgebäude in Sperenberg. Wir haben schon lange davon geträumt ,eine offene Bildhauerwerkstatt zu eröffnen” erzählen uns die beiden freundlichen Niederländer, während sie uns durch ihr Atelier führen. “Wir haben in Belgien und Frankreich gesucht, doch entweder waren die passenden Immobilien zu teuer oder zu weit von einer Großstadt entfernt. Schließlich sind wir im Internet auf den Bahnhof in Sperenberg gestoßen. Mit dem Auto braucht man weniger als eine Stunde von Berlin bis nach Sperenberg auf den Bahnsteig!“
Seit 2012 ist hier in Sperenberg nun kein Stein lange sicher. In ihrer Werkstatt bieten die beiden verschiedene Kurse, darunter auch besonderes wie das Bronze-Gießen und unterschiedliche Materialien und Steine für Bildhauerei-Interessierte an. Neugierig erkunde ich den großen Garten, in dem Skulpturen den Weg in die Werkstatt weisen, und entdecke dabei die kleinen Hütten, in denen Feriengäste übernachten können. Beim Blick in eines der Häuschen staune ich nicht schlecht, da liegt doch glatt eine Statue des bösen Wolfes im Bett!
Gemütliche “Ferienhütte” im Bildhauerbahnhof.
“Wollt ihr es mal ausprobieren?”, fragt Wouter uns lächelnd und schon stehen wir in der Werkstatt und bearbeiten einen Kalkstein. Prompt legt sich feiner Staub über alles in der Umgebung. So bringe ich schnell meine Kamera in Sicherheit und konzentriere mich auf den Stein. “Man muss beim Bearbeiten des Steins verstehen, dass die Form nicht aufgebaut wird, sondern erst durch das Entfernen von Stein entsteht“ erklärt Wouter. Konzentriert schleife, pfeile und klopfe ich an meinem Stein herum. Das ist gar nicht so einfach, macht mir aber großen Spaß!
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Sportlich, sportlich! Mit der Draisine durch die Natur in Brandenburg
Auf den Gleisen vorm Bildhauerbahnhof, auf denen 1892 der erste und 1998 der letzte reguläre Zug hielt, herrscht auch heute keine völlige Ruhe. Vor dem Bahnhof wartet eine große Hebeldraisine der Erlebnisbahn auf uns. Nach einer kurzen Einweisung heißt es Warnweste an und rauf auf die Draisine! Abwechselnd betätigen wir den großen Hebel in der Mitte und nehmen so ordentlich Fahrt auf.
Die Draisine wartet vor dem Bahnhof Sperenberg auf uns.
Wir fahren durch den dichten Brandenburger Wald. Der warme Fahrtwind schlägt mir ins Gesicht, es duftet nach Moos und Kiefern. Bis auf unser lautes Lachen und das gleichmäßige Rattern der Draisine ist nichts zu hören. An einer Kreuzung stoppen wir. Unter lauten “STOP – in the naaaame of looove – Gesängen” sperrt Lisa die Straße, um Auto-Draisinen-Zusammenstöße zu verhindern, während Inka die Schranken für uns öffnet. Anders als früher bei der Eisenbahn sind heute nicht die Straßen, sondern die Draisinenstrecke mit Schranken versehen.
Besonders für Menschen die sich gerne aktiv durch die Natur bewegen, ist eine Draisinenfahrt genau das Richtige. Dabei solltest du aber nicht vergessen, dass so eine Fahrt auch mit etwas körperlicher Aktivität verbunden ist. Aber keine Sorge, bei der Erlebnis bahn hast du die Wahl zwischen unterschiedlich langen Strecken und verschiedenen Draisinentypen, da ist für jeden das Richtige dabei.
Der Bahnhof Rehagen: gehobene französische Küche in Brandenburg
Hungrig von der vielen frischen Luft und der Bewegung halten wir unsere Draisine am Bahnhof Rehagen. Vor dem großen, gelben Backsteinhaus sitzen die Besucher bei Crêpe und Kaffee auf dem alten Bahnsteig in der warmen Mittagssonne. Überall im Restaurant finden sich Erinnerungen an die Geschichte des Bahnhofs. Staunend betrachte ich die alten Fotografien, die die Wände zieren und frage mich, wer so mutig (oder vielleicht auch ein bisschen wahnsinnig?) ist, sich an dieses große Projekt zu wagen. Meine Frage bleibt nicht lange unbeantwortet. Im gemütlichen, modern eingerichteten Restaurant begrüßt mich Herr Boyer. Zusammen mit seiner Frau kaufte er 2010 den Bahnhof, mit dem Ziel einen Ort der Begegnung für Events, Kultur und Kulinarisches zu schaffen. Mit der Eröffnung eines Restaurants mit gehobener deutsch-französischer Küche erfüllten sich die Boyers schließlich ihren Lebenstraum.
An einer großen Tafel sitzend, schlemmen wir uns durch die kleine, wöchentlich wechselnde Karte. “Uns ist es wichtig, das wir mit frischen Zutaten, die wir zumeist aus der Region oder aus Frankreich beziehen, kochen”, erzählt mir Herr Boyer “Neben drei Menüs (Fisch, Fleisch, vegetarisch) bieten wir auch Galettes und Crêpes, Käse- und Aufschnittteller, sowie hausgemachten Kuchen und am Wochenende Frühstück an.
“Möchtet ihr einen Blick in die Schlafwagen werfen?”, fragt Herr Boyer uns. Da lassen wir uns natürlich nicht lange bitten, ist das Schlafwagenhotel neben dem Restaurant doch der Star des Bahnhofs Rehagen. “Eigentlich waren die Waggons gar nicht eingeplant, doch dann wurden sie uns zum Kauf angeboten und wie ihr seht, konnten wir nicht nein sagen”, erzählt er mit einem Augenzwinkern.
Ein Schlafwagen-Hotel auf dem Abstellgleis
Zwei der drei Waggons wurden 1989 in der DDR für die Transsibirische Eisenbahn gebaut, aber nie ausgeliefert. Im grünen Wagen, der als einst auch als Schlafwagen gebaut wurde, finden sich in den 4 Gästezimmern heute noch viele originale Elemente. Drei weitere Zimmer befinden sich im roten Waggon, der einst als Speisewagen konzipiert wurde und eines in der „Donnerbüchse“, dem alten Waggon aus den 30er Jahren.
Im grünen Schlafwagen ist noch viel der ursprünglichen Einrichtung erhalten geblieben.
Schon bei der Verabschiedung von Familie Boyer ist mir klar, dass ich unbedingt einmal in einem der Waggons übernachten möchte. Ende September, ein paar Monate später, ist es dann schließlich soweit. Zusammen mit Kerstin übernachte ich im Bahnhof Rehagen in einem urgemütlichen Zimmer und träume von einer Reise mit der Transsibirischen Eisenbahn durch Russland.
Am frühen Morgen laufe ich über die alten Gleise zur alten Brücke, auf der der Schriftzug “Le Bourget” prangt und wandle dabei auf den Spuren Hollywoods. 2013 hat George Clooney hier eine Filmszene aus Monuments Men gedreht. Dafür verwandelte sich der Bahnhof Rehagen in den Bahnhof des Pariser Vorortes „Le Bourget“.
Mit einem gemütlichen Frühstück im Restaurant mit Köstlichkeiten aus der Region und Frankreich und leckerem Kaffee starten wir anschließend ganz entspannt in den Tag. Am liebsten hätte ich noch ein paar Nächte hier auf den alten Gleisen verbracht, scheinen sie doch der perfekte Ort für kreative Ideen und scheinbar verrückte Pläne zu sein.
Das Schlafwagen-Hotel braucht deine Hilfe!
Stell dir vor, es ist ein kalter Wintermorgen. Der Schnee liegt wie eine dicke Decke auf dem Dach deines Schlafwagons. Du stehst verschlafen am Fenster und schaust hinaus auf die stillen Gleise… Klingt romantisch oder? Leider kann man im Moment nicht im Winter im Schlafwagen-Hotel übernachten. Bei der Kälte draußen würden die Wasserrohre einfrieren und das durchgängige Heizen mit der aktuell verbauten Elektroheizung wäre viel zu teuer. Doch das kann sich mit deiner Hilfe ändern!
Nachts erstrahlt der Bahnhof Rehagen in warmen Licht.
Familie Boyer nimmt mit vielen anderen kreativen Köpfen aus dem Fläming an dem Crowd-Funding-Projekt “Flämingschmiede” teil, um so ihre Schlafwagen möglichst flott winterfest machen zu können. Auf der Website der Flämingschmiede kannst du dich durch die tollen Projektideen stöbern und ganz nebenher auch richtig tolle Geschenke (Weihnachten steht ja bekanntlich vor der Tür) kaufen, mit denen du die Teilnehmer unterstützt. Wie wäre es zum Beispiel mit einem Gutschein für einen Sonntagsbruch oder einer Übernachtung im Bahnhof Rehagen? Die Crowd-Funding-Projekte können noch bis zum 12.1.18 unterstützt werden. Ich drücke Familie Boyer und allen anderen Teilnehmern bis dahin ganz fest meine Daumen und hoffe, das alle ihr Finanzierungsziel erreichen.
Und wer weiß, vielleicht erfüllt sich mein Wintertraum schon im nächsten Jahr…
Gut zu Wissen
Bahnhof Klasdorf:
Öffnungszeiten des Cafés: Das Bahnhofscafé öffnet Samstag, Sonn- und Feiertage von 14-18 Uhr von Mai bis September.
Ferienwohnungen: Im Bahnhof Klasdorf gibt es drei einfache aber gemütliche Ferienwohnungen. Informationen zu den Wohnungen findet ihr hier.
Veranstaltungen: Eine Liste der Veranstaltungen könnt ihr auf der Webseite des Bahnhofs Klasdorf finden.
Bildhauerbahnhof Sperenberg
Informationen zu Öffnungszeiten, Ferienwohnungen und Kursen könnt ihr auf der Webseite des Bildhauerbahnhofs Sperenberg finden.
Draisine fahren
Die Fahrten mit der Draisine werden von der Erlebnisbahn angeboten. Auf der Webseite der Erlebnisbahnkönnt ihr euch über die Strecke, Preise und die verschiedenen Draisinenarten informieren.
Bahnhof Rehagen
Öffnungszeiten des Restaurants: Donnerstag & Freitag 16-22 Uhr, Samstag: 10-22 Uhr, Sonntag: 10-20 Uhr. Du solltest sowohl die Übernachtungen als auch den Restaurantbesuch vorreservieren.
Übernachtung im Schlafwagenhotel: Informationen zu Preisen, Telefonnummer und E-Mail finden sich auf der Webseite vom Bahnhof Rehagen.
Ausflüge in der Nähe: Neben den im Artikel erwähnten Aktivitäten empfiehlt sich ein Besuch des Museumsdorf Baruther Glashütte, eine Fototour in der verbotenen Stadt Wünsdorf und ein Abstecher zur Scheunenwindmühle.
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Immer auf der Suche nach geheimnisvollen Orten …
Autorin
Laura Schneider
Laura Schneider ist das Gesicht hinter Herz an Hirn. Sie schreibt über Herzensdinge. Dinge die man leider viel zu oft verpasst, weil man zu viel über sie nachdenkt, sie einem zu groß, zu peinlich oder zu anstrengend erscheinen. Das sind aber genau die kleinen Alltagsabenteuer die glücklich machen und einem einen wohligen Schauer über den Rücken jagen. Mit „viel Spaß inner Backe“ macht sie sich auf die Suche nach dem Glück. Das findet sie auf Reisen, in gutem Essen, beim Werkeln oder Lesen.
7 Kommentare
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Inhaltsverzeichnis
Hach, ein wundervoll geschrieben und bebilderter Artikel, der zeigt wieviel Potential in Deiner wunderschönen Heimat liegt. Meiner Meinung nach kann es nicht genug solcher toller Projekte geben. Jetzt habe ich ganz große Lust, auch noch die restlichen Bahnhöfe zu besuchen!
Ganz liebe Grüße, Kerstin
Was für schöne Bahnhöfe und kreative Projekte – wow! Du hast sie so liebevoll beschrieben, dass ich direkt Lust auf eine Reise nach Brandenburg bekommen habe …
Eine tolle Sammlung. Ich suche nämlich gerade noch nach einem kleinen Abentuer (mit Hund) für meinen nächsten Urlaub. Als Zielregion wollte ich gerne etwas in BRB oder McPom. Da kommt mir die Idee mit dem Schlafwagen-Hotel sehr recht. 🙂
Lieben Gruß, nossy
Hey Laura, das ist ein schöner Artikel, aber ich glaube, der Bahnhof heißt “Klausdorf” und nicht “Klasdorf”. Oder?!
Liebe Sandra,
der Bahnhof heißt wirklich Klasdorf und liegt direkt neben Glashütte 🙂
Was für ein wunderbarer Artikel! Es macht richtig Freude, ihn zu lesen. Also im dem Schlafwagenhotel muss ich auf jeden Fall einmal übernachten. Das kommt auf meine Liste, zwar leider erst fürs nächste Jahr. Aber immerhin. Danke für den tollen Tipp!
Liebe Grüße
Manja
Liebe Laura, habe den Artikel eben über Pinterest entdeckt und bin wirklich begeistert. Deine Fotos sind so schön! Habe richtig Lust bekommen, einige der Orte zu besuchen! Danke